Dienstag, 24. April 2007

Leserbrief von Prof. Dr. Rainer Zaczyk, Bonn

Der nachfolgende Leserbrief von Herrn Prof. Dr. Rainer Zaczyk, Direktor des rechtsphilosophischen Seminars der Universität Bonn, ist gestern (23. April 2007) in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung erschienen:

Dem Artikel „Rechtsreferendariat abschaffen“ (FAZ vom 03.04.2007) ist zu entnehmen, dass die Justizminister Sachsens und Baden-Württembergs, Mackenroth und Goll, sich dafür einsetzen, nach wenigen Jahren schon wieder die Juristenausbildung zu reformieren. Noch bedeutsamer als die Frage nach der Existenzberechtigung des Referendariats sind dabei die Vorstellungen über die Gestalt des Studiums selbst. Denn hier soll nach Ansicht der beiden Minister das Bachelor-Master-System auch in der Rechtswissenschaft eingeführt werden. Bisher waren Medizin und Jura die beiden Wissenschaften, die man mit gutem Grund von diesem Verdummungsprozess freihalten wollte. Aber – so die beiden Justizminister –: „Der Bologna-Prozess kann nicht aufgehalten werden.“ Das erinnert mich immer an Erich Honeckers goldenen Satz: „Den Sozialismus in seinem Lauf hält weder Ochs noch Esel auf.“ Nun soll ja der Bologna-Prozess gerade nicht aufgehalten werden, Mackenroth und Goll wollen ihn vielmehr befördern. Ob sie eine Vorstellung davon haben, was sie damit der Rechtswissenschaft, dem Recht in einem Staat und den Studierenden dieses Fachs antun? Die Bachelors des Rechts, mikrowellenartig erhitzte Viertelsjuristen, die man nach sechs Semestern aus der Universität jagt, werden ein pseudo-akademisches Proletariat darstellen, das, mangels jeglicher fundierter Ausbildung, niemand brauchen kann: ihm steht, wenn es mit dem Job in der Gerichtskantine nichts wird, nur noch eine Karriere in einer der politischen Parteien offen. Wer würde im Ernst – um es an dem anderen Fach zu demonstrieren – seine Gesundheit einem Bachelor-Mediziner anvertrauen, der die Nieren im Halswirbelbereich sucht? Die Master-Phase, in der gewissermaßen „richtig“ Wissenschaft betrieben werden soll, wird dann besiedelt von „Fortgeschrittenen“, die durch die unaufhebbare Seichtigkeit der Anfangsphase jedes selbständigen Denkens entwöhnt sind. Ein Wort dabei noch zur angeblichen „Richterausbildung“ der Juristen, eine immer wieder gern repetierte Phrase. Sie ist allein schon deshalb irrig, weil die Universitätsausbildung (nicht: Fachhochschulausbildung) eben keine Berufsausbildung ist. Zusätzlich irrig ist die Phrase aber ferner, weil die Perspektive des Richters die Perspektive des Rechts selbst ist; kein Anwalt, kein Verwaltungsbeamter, kein Wirtschaftsjurist kann in seiner Arbeit auf diese Qualität fachlichen Wissens verzichten. Geschädigt wird durch das Bachelor-Master-System daher der Rechtsstaat selbst. Die Folgen einer schlechten Juristenausbildung haben langfristig alle zu tragen – zu allererst aber die Studierenden, die um die intellektuell besten Jahre ihres Lebens betrogen werden.

Mackenroth und Goll wissen nicht, was sie tun. Das verbindet sie mit Wissenschaftspolitikern außerhalb und – besonders schlimm – innerhalb der Universitäten, die mit Beharrlichkeit die Substanz der deutschen Universität dauerhaft beschädigen und mit hohlem Exzellenzgetrommel den von ihnen selbst bewirkten Niedergang dieser einstmals in der ganzen Welt angesehenen Institution auf lächerliche Weise zu übertönen suchen.

6 Kommentare:

Anonym hat gesagt…

Kommentar von Ref. iur., Mag. rer. publ. René Merten, derzeit wissenschaftlicher Mitarbeiter am Fachbereich Rechtswissenschaft der JLU Giessen

Noch ehemals aus eigener Perspektive hat der Kommentator an der Universität Trier den rechtsphilosophischen Bemerkungen von Prof. Dr. Zaczyk große Tiefe attestiert und war begeisterter Studierender (wenn auch nicht im strafrechtlichen Bereich). In diesem Sinne möge der folgende Kommentar unter den Worten stehen, die mehrheitlich dem großen Thomas Morus zugeschrieben werden wollen:
"Tradition ist nicht Aufbewahrung der Asche, sondern Weitergabe des Feuers!"

Dass Modularisierung und Bachelor-Master-System sich nach mehrheitlichem Verständnis nicht mit unserer deutschen Juristenausbildung vermählen lassen, hat nicht nur das gewichtige Argument des "Lernens in Wellen" für sich, welches für das juristische Hochschulstudium in didaktischer Weise so unverzichtbar ist. Dies wie auch die Sinnhaftigkeit des derzeitigen Rechtsreferendariats kann nicht den Gegenstand folgender Kommentierung bilden, einzig die unaufgeschlossene, ja zum Teil scheuklappenartige Herangehensweise an die Problematik in Zaczyks Beitrag soll dies tun.

Die ewige Mär vom nur halbfertigen Bachelor-Juristen (von Zaczyk nochmals auf ein Viertel gekürzt) badet wie leider die zumeist gebrauchte Argumentation des traditionalistischen Juristenstandes in der Selbstbeschränkung auf die gerade nicht mehr allein gewünschten Absolventen mit der Befähigung zum Richteramt nach dem zweiten Staatsexamen. Richtig ist Zaczyks Hinweis darauf, dass diese Ausbildungsperspektive des Volljuristen auch für künftige Staatsanwälte, Rechtsanwälte und Verwaltungsjuristen gleichermaßen gilt, all jene also, die Recht in klassisch juristischen Berufsbildern sinnvoll anwenden wollen. Falsch oder zumindest unvollständig ist jedoch, die für zahlreiche andere Berufe und/ oder weitere Hochschulstudien mehr als ausreichenden (Grund-) Kenntnisse und Befähigungen eines LL.B. zu unterschlagen, als gäbe es nur das ganze oder gar nichts, in Zaczyks Worten entweder Volljurist oder Gerichtskantinenvorsteher bzw. Parteienknecht! Gerade interdisziplinäre Verbindungen und Vernetzungen von Hochschulstudien sind doch der Gewinn des Bolognaprozesses, den zu verschleiern sich ein modernes Bildungsmanagement nicht leisten sollte, was die Fachhochschulen - wenn auch mit anderem Fokus als die Universitäten - zumindest gelernt haben.

Die zutreffende Äußerung der beiden Justizminister Mackenroth und Goll, dass man sich der (von Zaczyk als "Verdummungsprozess" polemisierten) "Bolognarisierung" auf Dauer nicht verschließen kann, mag als bildungspolitische Resignation oder gar pragmatistische Einstellung ohne argumentativen Gehalt in der Sache aus dem Zusammenhang gerissen dargestellt werden; vorbei kommt aber auch dies nicht daran, dass es der zurecht im europäischen Hochschulraum und darüber hinaus sehr hoch angesehenen deutschen Juristenausbildung nichts nützt, weiterhin nur auf seine eigene, nationalbezogene Überlegenheit zu verweisen.

Ohne einer europäischen Bildungspolitik des kleinsten gemeinsamen Nenners das Wort reden zu wollen (dafür sind Recht, Rechtswissenschaft und letztlich Rechtsstaat zu wichtig), muss eine gemeinsame Studienstruktur über Fachdisziplinen hinweg nicht den "Niedergang" rechtswissenschaftlicher Fakultäten bedeuten, wie uns bereits das aufgeschlossene europäische Ausland in Teilbereichen auch ohne Bologna-Zwänge seit vielen Jahren vormacht. Wenn der Kommentator sich der Wortwahl Zaczyks nach nun selbst zu den "besonders schlimmen, inneruniversitären Substanzbeschädigern" zählen müsste, so liegt bei allen Vorbehalten gegen das "Stuttgarter Modell" en Detail darin der richtige (Reform-) Gedanke.

Anonym hat gesagt…

Hier werden vor allem auch Pseudovorbildern nachgerannt: In den USA erwirbt man den JD erst nach insgesamt 7 Jahren. In Irland und Schottland dauert der Bachelor 4 Jahre, in England zwar nur 3. Danach schließt sich aber - wie in Irland und Schottland - eine Art Referendariat (LPC bzw. BVC) an. Trotzdem werden deutsche Jursiten in internationalen Großkanzleien bei Einstellung höher eingestuft als britische und irische. Gerade das deutsche sehr strukturierte Referendariat mit einer zentralen Staatsprüfung als Abschluss sollte deshalb eher als Exportmodell denn als Auslaufmodell betrachtet werden.

Anonym hat gesagt…

In Wahrheit ist es doch so, dass bei komplizierten Fällen z.B. im europäischen Zivilprozessrecht, London in Frankfurt nachfragt. Die englische anwaltsorientierte Juristenausbildung schult eine gute Darstellungsweise, auch Problembewußtsein, aber keine Lösungskompetenz. Dies liegt auch daran, dass die dortigen Juristen überhaupt nicht in Hinblick darauf ausgebildet werden, Entscheidungen zu treffen. Wer nie in Gutachten wirklich zu einem Ergebnis kommen muss, sich nie mit wiss. Meinungen ausneineandersetzen muss (wie bei uns 1. Examen), wer nie gesehen hat, wie Richter entscheiden (Referendariat), dem fällt es schwer richterliche Entscheidungen wirklich zu prognostizieren.

JJ hat gesagt…

Der Kritik an der Kritik von Prof. Zaczyk möchte ich zustimmen. So richtig es ist, das Modell der Minister Goll und Mackenroth auf den Prüfstand zu stellen, so wenig hilfreich ist es, dies mit blanker Polemik zu tun.

So, wie es das Stuttgarter Modell will, wird die Juristenausbildung sicher nicht besser. Das ist jedoch nicht gleichzusetzen mit der Bologna-Erklärung als solcher und den damit verfolgten Zielen, die durchweg gut sind. Kritikwürdig ist, was einige daraus machen: Ein dreijähriges Jurastudium (das im Vergleich zum jetzigen, wenn meine Mathematik stimmt, eher zu einem Dreivierteljuristen und nicht , wie Prof. Zaczyk meint, zu einem Vierteljuristen führt) wird von Bolgona gar nicht gefordert, es gehen auch vier Jahre. Das Staatsexamen kann als Zugangsvoraussetzung für die reglementierten juristischen Berufe bestehen bleiben, doch sollte eines genügen. Und es sollte vor dem Referendariat stattfinden, damit echte praktische Ausbildung und keine Tauchstationen diesen Ausbildungsabschnitt prägen. Der Master sollte das sein, was er auch heute schon ist: Eine Spezialiserung am Ende der Ausbildung, aber keine Pflicht für jeden Juristen. Allerdings sollte er die Schwerpunktstudiengänge ersetzen, die die Studierenden m.E. viel zu früh zu einer Spezialisierung drängen.

Das alles liegt als sehr ausführliches 4-Stufen-Modell vor und kann unter www.neue-juristenausbildung.de eingesehen werden.

Wir müssen als deutsche Juristen gar nicht ein anderes System kopieren, wir sollten einfach das beste aus beiden Welten (Staatsexamen und Bologna) zu einem flexiblen System zusammenfügen, das auch für diejenigen ein hochwertiges und wissenschaftliches Studium bereithält, die gar nicht in die reglementierten juristischen Berufe wollen.

Dr. Jens Jeep, Notar
Hamburg

Anonym hat gesagt…

Mir scheint das intelektuelle Niveau der Studierendenschaft jedenfalls an manchen Fakultäten ohnehin schon dürftig genug zu sein - es besteht kein Anlaß, dem Trend zur wissenschaftlichen Aversion unter den Studierenden noch weiter nachzugeben und es den Universitäten auch offiziell zu gestatten, "fast-food-Juristen" zu produzieren. Das liefe auf das Eingeständnis hinaus, dass die Uni mit der Vermittlung wissenschaftlichen Denkens versagt hat. Zaczyk hat recht.

Matt hat gesagt…

Das Mackenroth/Goll-Modell ist sicher nicht der Weisheit letzter Schluss. Herr Zaczyk wendet sich mit Recht gegen das Schlechtreden der derzeitigen juristischen Ausbildung. Insbesondere fehlt es dem juristischen Studium nicht an "Praxisnähe". Das Hauptproblem ist vielmehr die fortschreitende Entwissenschaftlichung des juristischen Studiums, die das für ALLE juristischen Berufe nötige hohe Reflexionsniveau nicht fördert.

Allerdings liefert auch Herr Zaczyk keinen Vorschlag, wie einem anderen, äußerst virulenten Problem begegnet werden kann: Derzeit produzieren die Hochschulen Jahr für Jahr eine große Zahl an Absolventen, die mit ihrem mäßig erfolgreichen und womöglich erst im zweiten Versuch erworbenen Staatsexamen kaum eine müde Mark verdienen können. Es ist bittere Realität, dass der Arbeitsmarkt für sie kaum Möglichkeiten bereit hält. Diesen Menschen - und es handelt sich dabei um die Mehrheit der Jurastudenten! - täte man einen Gefallen, wenn man sie nach drei Jahren bereits mit einem Abschluss entließe, der ihnen die Möglichkeit eröffnete, außerhalb der klassischen juristischen Berufe tätig zu werden. Heute werden sie genötigt, weitere ein, zwei oder drei Jahre zu investieren, um letztlich bei demselben Ergebnis zu landen.

Die Arbeitsmarktsituation im Zeitalter der Globalisierung sowie die heutigen Studentenzahlen erlauben leider kein "Zurück" zum - intellektuell sicher erstrebenswerten - kritisch-reflektierten Jurastudium, wie es der Mär nach im Frankfurt der 70er Jahre Wirklichkeit gewesen sein soll. Stattdessen müssen Kompromisse gefunden werden, die der "Masse" (sorry) einen Abschluss in die Hand geben. Das intellektuelle Hochreck interessiert diese oft schlichtweg nicht. Gleichzeitig müssen intellektuelle Höhenflüge möglich bleiben - etwa in einem anschließenden Masterstudium.

Überdies ist auch das gepriesene Referendariat nicht von Kritik gefeit. Wer hat nicht einen Ausbilder gehabt, der einen statt strukturiertem Unterricht mit Schwänken aus der Praxis langweilt? Wie oft hat man geübt, einen Zeugen zu vernehmen? - Die Heidelberger Medizinstudenten lernen in Trainingssitzungen mit Schauspielern, Videoanalyse etc., wie man ein Arztgespräch führt. Auch die Vermittlung von Praxisnähe will gelernt sein.

Von daher: semper apertus! (Wahlspruch der Uni Heidelberg)